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Geräuschangst beim Hund

6. November 2019 · VetSpezial

Geräuschangst und Geräuschphobie bei Hunden

Ida hat Angst! – Die fünfjährige Mischlingshündin leidet an einer Geräuschphobie. Laute Fahrzeuge, Gewitter und Feuerwerk versetzen sie in Stress und Panik. Laut der Verhaltensmedizinerin Dr. Heike Schröder leiden viele Hunde (und Katzen) an einer Geräuschangst und zeigen ängstliches Verhalten zum Beispiel bei Feuerwerksgeräuschen. Was mit subtilen Hinweisen wie Unruhe und Nervosität beginnt, kann sich ohne frühzeitige Interventionen mit zunehmendem Lebensalter zu einer Phobie oder chronischen Angstzuständen entwickeln.

Angst als normale Reaktion des Hundes und Angst als pathologischer Zustand

Angst ist eine normale kurzfristige Emotion des Hundes, die sich grundsätzlich nicht schädlich auf den Organismus auswirkt, da dieser nach entsprechenden Reaktionen innerhalb von 15 Minuten wieder in einen ausgeglichenen Zustand zurückkehrt. Die hervorgerufenen Reaktionen, wie gesteigerte Aufmerksamkeit, große Wachheit und erhöhte Leistungsfähigkeit, machen das Tier in Belastungssituationen reaktionsstark und ermöglichen ihm beispielsweise eine Fluchtreaktion. Gleichzeitig wird die Angstschwelle vermindert.

Verursachen Unwetter oder andere Geräusche Angstzustände im Sinne einer länger anhaltenden Stimmung, stellt dieser Zustand für das Tier einen hohen Leidensdruck dar.
Ein wichtiges Hormon in Zusammenhang mit Stress ist das Cortisol, das in der Nebennierenrinde gebildet und bei Angst vermehrt ausgeschüttet wird. Die Produktion des Cortisols wird durch ACTH (adrenocorticotropes Hormon) aus der Hirnanhangsdrüse (Hypophysenvorderlappen) angeregt. Der erhöhte Cortisolspiegel dient der zusätzlichen Bereitstellung von Energiereserven, die zur Bewältigung von Stresssituationen benötigt werden. Neben der Beteiligung an vielen Stoffwechselvorgängen ist Cortisol auch an der Regulation des Wach- und Schlafrhythmus beteiligt. Es wird vorrangig in den Morgenstunden produziert und auf Vorrat im Körper gespeichert, damit es im Ernstfall in ausreichender Menge verfügbar ist. Im Tagesverlauf und gegen Nacht sinkt der Cortisolspiegel auf seine niedrigsten Werte.
Dauerhafte Stresszustände führen durch die Erschöpfung der Nebennieren langfristig zu einem Cortisolmangel. Aufgrund des eintretenden Mangels kann Stress zunehmend immer schlechter bewältigt werden. Dauerstress kann Symptome wie Abgeschlagenheit, Antriebsschwäche, Entzündungen und eine Schwächung des Immunsystems begünstigen.

Häufige Anzeichen einer Geräuschangst bei Hunden:

  • Bellen, Jaulen, Winseln
  • Unsauberkeit
  • Flucht, Vermeidung (z. B. von Orten)
  • Zerstörung von Gegenständen (Türen, Fenster etc.)
  • Erbrechen, Appetitlosigkeit
  • Unruhe, Hecheln, Speicheln, erhöhte Herz- und Atemtätigkeit, panischer Blick
  • erhöhte Reizbarkeit
  • Aggression

Steigerung und Übertragung von Ängsten mit zunehmendem Alter

Früher reagierte Ida nur auf extrem laute Geräusche. Sie tigerte für kurze Zeit unruhig umher und hechelte, bis sie sich nach ein paar Minuten wieder beruhigte. Im Laufe der Jahre hat sich ihre Angst verstärkt. Mittlerweile möchte die Hündin das Haus schon nicht mehr verlassen, sobald sie erste Anzeichen eines herannahenden Gewitters wahrnimmt. Passiert ein lautes Fahrzeug das Grundstück, flüchtet sie ebenfalls aus dem Garten nach drinnen. Entstehen extreme Geräuschkulissen, wie das Feuerwerk an Silvester, begleiten sie bereits vor und noch tagelang nach dem Ereignis Unsicherheit bis stärkere Anspannung. Die Hündin zittert am ganzen Körper, zeigt starkes Hecheln, ist rastlos, kann sich schlecht lösen und verweigert die Nahrungsaufnahme. Auf Spaziergängen reagiert sie zunehmend sensibel auf weit entfernte Geräusche. In ihrer Panik und springt sie in die Leine, um die Flucht zu ergreifen. An vielbefahrenen Straßen bringt sie dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Besitzer in Gefahr.
Ida zeigt inzwischen eine Phobie gegen Geräusche verschiedener Arten. Waren zunächst nur laut knallende Geräusche ein Problem, erweiterte sich die Bandbreite bis hin zu Alltagsgeräuschen wie der laufenden Spülmaschine, die sie neuerdings lieber meidet.
In den letzten Jahren wuchs die Angst mit jedem weiteren negativ empfundenen Geräusch und mit ihr die Sorge ihrer Familie, weil sie der Hündin kaum helfen kann.

Unterscheidung zwischen Angst und Phobie bei Hunden

Eine Phobie bei Hunden ist durch die Angst vor einem grundsätzlich nicht gefährlichen Auslöser (z. B. laute Fahrzeuge) gekennzeichnet, der mehr oder weniger genau identifizierbar ist.
Der Angstzustand ist ein länger andauernder emotionaler Zustand des Hundes, bei dem er Verhaltensweisen der Angst zeigt und dessen Auslöser nicht eindeutig identifizierbar und nicht spezifisch sind. Die Auslöser wechseln und wachsen stetig an.
Chronische Angstzustände sind darüber hinaus mit weiteren Symptomen wie beispielsweise erhöhter Wachsamkeit, Umherwandern und Pfoten belecken und schließlich mit sekundären organischen Symptomen kombiniert.

Betrachten wir den Unterschied zwischen angemessenem Verhalten und Phobie am Beispiel Gewitter: eine normale Angstreaktion wäre, wenn der Hund sich vor einem lauten Donner erschreckt und sich danach wieder beruhigt, wenn er feststellt, dass nichts weiter passiert. Ida hingegen zeigt bei Gewitter Anzeichen einer Phobie, indem sie jedes Mal unruhig wird und das gleiche Meideverhalten (Flucht) zeigt, wenn sich Wetterumschwünge nur ankündigen. Schon bevor das eigentliche Gewitter niedergeht, bestimmt die Angst bereits ihr Verhalten, ihren Bewegungsradius und statt einer Beruhigung findet eine Steigerung statt.
Phobien können sich auf Auslöser aus anderen Kategorien (z. B. Situation: Autofahren, völliges Alleinsein etc.) ausweiten und multiple Phobien können sich bei Nichtbehandlung zu einer generalisierten Angststörung entwickeln oder damit kombiniert auftreten.

Auslöser für Ängste bei Hunden

Ida war als junge Hündin einige Tage nach Silvester mit einem lauten Knall in unmittelbarer Nähe durch einen Silvesterböller konfrontiert. Ein traumatisches Erlebnis, das ihr weiteres subjektives Geräuschempfinden nachhaltig beeinflusst hat.
Manchmal lässt sich der ursprüngliche Auslöser für ein bestimmtes Angstverhalten rückblickend nicht so klar identifizieren. Angst kann nicht nur, wie bei Ida, durch ein traumatisches Erlebnis, sondern beispielsweise auch durch aversive Reize bei falschen Trainingsmethoden verursacht werden. Des Weiteren führen mangelnde Umweltreize in der frühen Entwicklungsphase des Welpen zum Deprivationssyndrom, einer Verhaltensstörung junger Hunde, die vor dem vierten Lebensmonate beginnt und durch tägliche Angstzustände gekennzeichnet ist, sobald das Tier mit seiner komplexen Umwelt konfrontiert wird.

Die unbewusste Verstärkung ängstlichen Verhaltens durch den Besitzer und auch die genetische Veranlagung eines Hundes kann die Entwicklung einer Angststörung begünstigen.
„Hunde die aufgrund von Geräuschen Angst zeigen, sollte man in diesen Momenten auf keinen Fall alleine lassen. Wenn der Hund sich an seinen sicheren Ort zurückziehen möchte, Körpernähe sucht, ein Spielzeug oder Futterspiel annimmt, sollte das jeweils unterstützt werden“, rät Verhaltensexpertin Schröder.
Phobien und Angstzustände können darüber hinaus auch ein Symptom für andere psychische Störungen des Hundes sein.

Die Behandlung von Geräuschangst und Geräuschphobien

Therapeutische Maßnahmen sollten möglichst bei den ersten Anzeichen begonnen werden, da die Ängstlichkeit für den Hund eine erhebliche Beeinträchtigung seines Wohlbefindens bedeutet und langfristig zu Schäden der körperlichen Gesundheit führt.
Dazu gehören neben der Aufklärung des Besitzers, der Einsatz von Pheromonen, Managementmaßnahmen (z. B. sicheren Rückzugsort einrichten), Verhaltenstherapien (z. B. eine neue Gewöhnung an das angstauslösende Geräusch) und erforderlichenfalls eine Medikation.

Wichtig ist für jeden Tierbesitzer zu wissen, dass Ängste und Unsicherheiten niemals durch Zwang oder Strafe aberzogen werden können. Der ängstliche Hund mit seinen Körperreaktionen ist eine komplexe Einheit und erlebt sowohl körperlich als auch psychisch einen großen Leidensdruck. Wir alle kennen von uns selbst, wie eingeschränkt unsere Wahrnehmung ist, wenn wir Stress oder Angst empfinden.
Angst bei Hunden muss immer individuell betrachtet und therapiert werden. Betroffenen Hunden helfen hierbei insbesondere ihre Bezugspersonen und/oder auch ruhige angstfreie Artgenossen, manchen reichen sichere Rückzugsorte oder harmlose Nebengeräusche (wie Musik oder aufgezeichneter Familienalltag).
Alle zur Verfügung stehenden therapeutischen Strategien werden vom verhaltensmedizinisch tätigen Tierarzt mit seinen Erfahrungen auf Basis der Lernprozesse beim Hund für den individuellen Fall kombiniert, um das Wohlbefinden des Patienten wiederherzustellen und schlussendlich auch die Beziehung zwischen Mensch und Hund wieder zu verbessern.